Musiktheoretische Kenntnisse sind kein Selbstzweck. Man kann zwar ohne all zu viel Wissen Klavierstücke einüben, jedoch verzichtet man damit auf eine wesentliche Hilfestellung.

Vielen Anfängern, ob Kindern oder Erwachsenen, geht es ums Klavierspielen - inwiefern Akkordlehre oder die Erarbeitung der Systematik der Tonarten dafür nützlich sein soll, ist oft auf den ersten Blick gar nicht zu erkennen.

Das ändert sich, wenn man merkt, dass viele Schwierigkeiten mit gewissen theoretischen Grundkenntnissen viel leichter zu bewältigen sind; diese müssen keineswegs den Stoff eines kompletten Harmonielehre-Studiums umfassen, um beim Erarbeiten eines Notentextes nützlich zu sein. So genügt es beispielsweise zu wissen, dass in tonartgebundener Musik oft Dreiklänge vorkommen, um viele Begleitfiguren des Klaviersatzes als das zu erkennen, was sie sind: eine Folge von in Bewegung gesetzten Dreiklängen samt ihren Umkehrungen, die sich somit viel leichter nachvollziehen und memorieren lassen. Natürlich ist die Hilfestellung, die man durch theoretische Kenntnisse hat, umso größer, je mehr man bereits weiß. Wenn man bei den selben Klavierfiguren auch noch sehen kann, wie sich in der Bewegung der Harmonien die Verwandtschaft von Tonarten darstellt, also ein Tonartwechsel in die Dominante oder moll-Parallele samt den dazu gehörigen Vorzeichenänderungen kein Rätsel mehr darstellt, beginnt sich auch die Architektur von Kompositionen zu erschließen. Damit kann man neue Stücke viel effektiver einstudieren als jemand, der mühsam Note für Note entziffern muss, ohne recht zu verstehen, warum irgendwo ein „fis“ statt eines „f“ steht.

Überhaupt die Vorzeichen! Vielen Spielern gelten Stücke als kaum zu bewältigen, weil sie drei oder mehr ## oder bb haben. Wer den Quintenzirkel, also die Systematik der Verwandtschaft der Tonarten, verstanden hat, und die verschiedenen Dur- und moll-Tonarten in Tonleitern und Akkordfolgen geübt hat, der weiß beim dann gar nicht mehr so grausigen Anblick von vier Kreuzen, dass es sich um eine Komposition in E-Dur oder cis-moll handeln muss. Da er im Spielen der jeweiligen Harmonien eingeübt ist, muss er nicht mehr bei jeder einzelnen Note darüber nachdenken, ob gerade DIE nun auch erhöht wird oder nicht.

Generell lässt sich sagen, dass solide theoretische Kenntnisse, kombiniert mit der entsprechenden Technik, einen Schüler erst in die Lage versetzen, sich selbständig anhand des Notentextes eine Vorstellung von einem Musikstück zu verschaffen, und sich so eigenständig in der Musikliteratur umzusehen.