Zunächst einmal: die gesamte Klavierliteratur ist schlicht unüberschaubar. Wahrscheinlich ist seit der Erfindung des Klaviers, bzw. seiner diversen Vorläufer, für Tasteninstrumente mehr solistische Musik geschrieben worden, als für irgendwelche anderen Instrumente.

Das liegt daran, dass fast jeder Komponist zumindest passabel Klavier spielen konnte; nicht wenige der großen Meister der Vergangenheit waren sogar zu ihrer Zeit als herausragende Virtuosen auf diesem Instrument bekannt. In der Tastatur hat man sozusagen den Tonraum ganz anschaulich „zum Anfassen“ vor sich ausgebreitet; das Klavier ist daher DAS Instrument, das den musikalischen Überblick fördert.

Insofern empfiehlt es sich das „Unterrichtsrepertoire“ stilistisch möglichst breit gefächert zu halten und nicht auf die bekannten Klassiker zu beschränken. Je größer die Auswahl an Literatur ist, die man überblickt, desto leichter findet man Stücke für jeden Geschmack und für jedes Können. Individuelle Vorlieben haben Anfänger genauso wie Fortgeschrittene, Kinder genauso wie Erwachsene, und die sollten bei der Auswahl von Stücken durchaus einbezogen werden. Der erwünschte technische Fortschritt stellt sich so eher ein. Denn das Erlernen von Stücken, die man nicht mag, ist erstens enervierend, und zweitens dem Lernerfolg nicht sehr förderlich.

Außerdem: DAS Stück, das für das Erlernen des Klavierspielens unverzichtbar ist, existiert nicht. Czernys Etüden stehen nach wie vor im Ruf, unabdingbare Voraussetzung zu sein, um schwerere Beethoven-Kompositionen spielen zu können. Interessanterweise gibt und gab es immer wieder hervorragende Beethoven-Interpreten, die nie im Leben eine Czerny-Etüde angefasst haben, einschließlich Beethoven selbst.

Überhaupt sollten gerade Kinder nicht mit einfältigen Anfängerstücken angeödet werden. Es gibt durchaus Kompositionen für Anfänger, die sich eben nicht mechanisch herunterleiern lassen, sondern Aufmerksamkeit verlangen und Interesse wecken.